Radio zum Laubenfest
Das Wetter war wechselhaft und regnerisch an diesem letzten Junitag. Die Pfützen auf den Wegen zur Gartenkolonie „Einheit“ waren so tief, dass wir eigentlich mit Gummistiefeln hätte anreisen sollen. Stattdessen reisten wir mit selbstgeschneiderten Kleidern im Stil der 1920er Jahre an. Denn im Rahmen der Lange Nacht der Museen in Altenburg konzentrierte sich das Motto des Festes im Historischen Laubengarten auf das Gründungsjahr der Kolonie: „Ein Tag im Juni 1923“.
Die kleine holzgezimmerte Laube, die Datscha Radio des Regens wegen als Studio nutzte, war nicht nur mit Porzellan, originaler Tischwäsche und einer Hängelampe aus Messing dekoriert, sondern auch mit einem alten sogenannten Volksempfänger. Gut möglich, dass in den Schrebergärten damals auch schon Radio gehört wurde, denn 1923 war auch das Jahr der ersten Rundfunkausstrahlung in Deutschland.
Um trotz des widrigen Wetters die geplante UKW-Übertragung im August aus dem Laubengarten zu testen, wurde unser Mini-Transmitter auf einen gut vier Meter langen Fichtenast montiert. Zu Hilfe kam uns dabei Frank Vohla, Pächter des benachbarten „Sternengartens“ und Hobbyastronom. Auch der Sternengarten ist ein Projekt des Vereins: Ein unter die Dachluke montiertes Teleskop wird dort künftigen Gästen astronomische Beobachtungen erlauben.
Der Regen erwies sich indes als das kleinere Problem. Problematischer war der Ausfall des Telekommunikationsanbieters. Während wir fieberhaft nach einer Lösung suchten und sie nach einiger Zeit auch fanden, füllten sich der Garten und das Buffett. Fast jede der Besucher*innen brachte ein Tablett mit Kuchen und Kanapees oder Getränke für das Buffet. Die Johannisbeere hatte eindeutig Saison.
Um 19 Uhr gingen wir versuchsweise auf Sendung mit einem Gespräch mit der Vorsitzenden des Gartenvereins Einheit und Initiatorin des Historischen Laubengartens, Grit Martinez.
Sie gab uns einen Einblick in die Entwicklung der Laubenkolonie in den letzten 40 Jahren. Ob die Gärten vor dem Mauerfall alle besetzt gewesen wären? Hier antwortete Frau Martinez mit einem klaren Ja! Zuvor habe es gut 60 000 Einwohner in der Stadt gegeben, im Laufe der 1990er Jahre waren es bald nur noch etwa 30 000. Nicht nur die Jungen, ganze Familien gingen in den Westen. Immer noch gibt es 66 Laubenkolonien in Altenburg, doch es gibt auch viele leerstehende Parzellen. Während in Berlin und eigentlich allen (west)deutschen Städten die Menschen sich für einen Schrebergarten in lange Wartelisten eintragen müssen, standen noch vor drei Jahren gut 60 Gärten der Einheit verwildert. Die Arbeit des Vereins und Wiederinstandsetzung des Historischen Laubengartens führten zu einer Reaktivierung der verlassenen Grundstücke, von denen inzwischen gut 40 neu vermittelt werden konnten.
Helen Thein war derweil in den anliegenden Gärten unterwegs um die Stimmen der GärtnerInnen einzufangen: Gespräche und Spaziergänge vor und hinter den Gartenzäunen, die in der Einheit e. V. eben nicht superstrikt mit der Schnur auf ihre 1,20 m abgemessen werden.
Das Interesse an einer naturfreundlichen Begärtnerung ist groß, und wird von Alt wie Jung befürwortet… zumindest in dieser Kolonie. Viele Gärten wurden und werden teilweise durch mehrere Generationen bewirtschaftet, so waren bereits Frau Martinez’ Urgroßeltern auf der gleichen Laubenscholle tätig, auf der aktuell auch noch ihre Eltern gärtnern.
Aus deren Nachlass stammte auch die Schelllackplattensammlung, die im musischen Mittelpunkt des Entertainments stand. Ein neuer Gast schritt durch das Gartentor und zog die Blicke auf sich: Ein junger Mann, minuziös im Stil der 20er Jahre gekleidet. Selbstverständlich fragten wir da nach einem Radiotermin…
20:15 war der Zeitpunkt für das ‚offizielle Radiogespräch‘ mit Frau Martinez und der stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins, Chris Junk. Gemeinsam blickten wir auf die Geschichte der Laubengärten zurück und erörterten die Aktualität von Subsistenzwirtschaft in der heutigen Zeit. Frau Junk, die die Anlage und Bepflanzung des Historischen Laubengartens übernommen hatte, sprach über den Erhalt alter Obst- und Gemüsesorten – auch mit Augenmerk auf den Klimawandel, der zu Experimenten auch mit neuen Arten und Sämereien herausfordert. Als wichtigstes Merkmal ihres Vereins hoben beide dessen kulturelle Toleranz und Offenheit hervor. So hätten auch mehrere ukrainische Familien eine neue Gartenheimat hier gefunden. Was, wenn nicht Offenheit und Vielfalt, sollte ein gelungenes Gärtnern ermöglichen!?
Im nächsten Radiotalk erfuhren wir auch den Namen des so schick in Knickerbocker und Schiebermütze gekleideten jungen Mannes. Matteo war durch das Plakat zur Museumsnacht auf das Thema des Gartenfestes aufmerksam geworden. Es war eine seltene Gelegenheit aus erster Hand zu erfahren, was den Zauber der 20er Jahre für junge Leute heutzutage ausmacht… und es wurde deutlich, dass es nicht einfach ist, abseits der großen Städte sich Kleidung und Ambiente zu leisten.
Allmählich strömten mehr und mehr Gäste in Feierlaune durch das Tor in den Historischen Laubengarten. Viele kamen zur Laube und lugten hinein, um zu sehen, wie unser Radio aussah.
Zum Abschluss blickten Helen und ich auf die Planung der künftigen Sendungen. Datscha Radio kehrt in der ersten Augustwoche in den Laubengarten zurück und wird sein Augen- und Ohrenmerk den vielfältigen (Wild)Gärten der Stadt, die Gegenwart des Gärtnerns und seiner AkteurInnen in Altenburg leihen. Das ‚Streuobstradio‘ im Frühherbst hingegen wird über neue Saaten und Formen gärtnerischen Miteinanders spekulieren. Wir freuen uns darauf!
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