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Tag 2: Neue Symbiosen

Text: Gabi Schaffner

Concrete pig4Datscha Radio: Courtesy Karl Heinz Jeron

„Merde – C’est une belle chose“ – die radiophone Eröffnung des zweiten Radiotags beginnt mit einem Zitat Alfred Jarrys und einer Kontemplation dieser besonderen Masse seitens der Künstlerin Kerry Morrison. Ihr Text „Body Garden Experiments“ schildert den interkontinentalen Transport von Samen. Der Körper als Katalyst für Vermehrung und Verbreitung, Transport und Evolution: „Der ,Abfall‘ meines Körpers war eindeutig nicht nur Abfall. Er trug Fruchtbares in sich.“

Datscha Radio17s „Neue Symbiosen“ nahmen in ihrer Verbindung von Essen, Biologie, Radio(machen), Ökologie und Experiment den ganzen Tag über neue Gestalt an. So taucht im Nachsinnen über seine Essenz der Gedanke auf, ob ein Radiotag nicht auch als Körper betrachtet werden kann. An diesem lang gestrecktem, teils gewundenen, teils durchscheinendem Körper, der sich über Radiowellen in den Garten und die Welt ausbreitet, gibt es Öffnungen und Auswüchse, es gibt schüsselförmige Kuhlen, in denen Tomaten neben Fischen lagern und mit Leuchtdioden versehene Tentakel, die verschiedenste Signale abstrahlen. Dieser Körper ist nicht menschlich und er ist nicht Garten. Er ist keine Züchtung – natürlich nicht – und er ist kein System. Vier Beispiele aus unserem symbiotischen Sendekörper müssen genügen, um ein Streiflicht auf die Ereignisse des Tages zu werfen.

Raymond Brouwers von Urban Street Forest erreicht die Datscha gerade rechtzeitig zu „Carte Verte“. Es sollte uns doch klar sein, sagt Raymond, dass unser (westlicher) Lebensstil Landschaften anderswo aufzehrt, ihnen Wasser, Energie und Ressourcen nimmt. In einer Verknüpfung von vertikaler Städtebegrünung und Wiederaufforstungsinitiative wird für jeden gepflanzten Baum ein weiterer in von akuter Wüstenbildung bedrohten Gebieten gepflanzt. Seine „One Tour Tree Forest“-Tour wird ihn diesen Winter durch ganz Europa führen, wo er neue Begrünungsobjekte ausspähen wird.

Das Zuhause der Symbiose ist der Zwischenraum. Dort wohnt sie, hier baut sie ihre Verbindungen auf: Zwischen den Gebäuden der Stadt, zwischen den Kontinenten, zwischen dem Materiellen und dem Immateriellen, zwischen Mensch und Maschine. In ihren semiopaken Tiefen, versteckt in den leuchtenden Falten ihrer Existenz vereinen sich Frage und Antwort, Irrtum, Wunder und Tatsache. Was könnten Wissen und Lernen in der Zukunft bedeuten?

Unser Radiokörper nimmt nach kurzem Zögern und dem Versuch eine Motte zu imitieren die Gestalt von Orchideenblüten an. In „Hidden Elements: reciprocal knowledges” von Shanti Suki Osman und Kate Donovan bilden sich zirkuläre, von „Wows“ unterbrochene Gesprächswirbel über die Kommunikation nicht-menschlicher Gartenbewohner heraus: Es gibt Orchideenarten, die den Leib weiblicher Wespen als Blüte nachbilden um den entsprechenden Befruchtungspartner anzulocken. Andere wiederum sind in der Lage einen Klang zu erzeugen, der der Frequenz potenzieller Beuteinsekten ähnelt…

Einige Stunden später:
Aus dem Griff eines Messers windet sich ein dünnes schwarzes Kabel, das im undurchschaubaren Gewirr auf dem Tisch zu einem Keyboard und diversen Schaltern führt. Kaisa Justkas „Singing Kitchen“-Performance führt Essbesteck und Zubehör, Musik und Elektronik zu stets neu improvisierten Klanglandschaften zusammen.

Neue Symbiosen: Erfordern sie Vorstellungskraft, brauchen sie ihre Erfindung oder könnte es genügen, Vorhandenes in immer wieder neue Schwingungen zu übersetzen? Ist nicht das Radio selbst ein symbiotischer Quell der Kommunikation und des „Weltempfangs“? Gegen Ende des Tages öffnen sich die Kanäle des Datscha Radio-Körpers für ein Frühstück am anderen Ende der Welt. Wir senden und senden nicht: Sophea Lerners „Saturday Night Breakfast“ aus Sydney wird über unseren Server übertragen, während wir im nächtlichen Garten die Reste des Tomatensalats aufzehren und lauschen. Neue Saaten für Kopf und Körper!

 

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