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Tag 5: Subterrane Meditationen

***Am Anfang war das Radio ***

Einige sagen, im Inneren hätte sich etwas bewegt, sie sagen, der brodelnde Erdkern hätte ein Ei ausgerülpst, und dass dieses zart-spröde Ei zerbrach, um einen Wurm ans Licht zu bringen – die zweifache Schlange in eins gewunden – und dieser schlängelnd in den Boden entlassen, habe alle Elemente durchdrungen bis hin zum Äther, tiefgrabend und emporstrebend zur gleichen Zeit. (Einige sagen aber, es sei umgekehrt gewesen).
Doch die Sonne und die Felsen und die Sterne wissen, dass es auch schon davor Radio gab, und der Atommüll wird (neben anderen Dingen) noch unseren (nicht-menschlichen) Nachfahren davon künden, dass Radio dann immer noch ist, selbst dann.

Der letzte Tag des Festivals sah das Studio nach draußen in den Garten umziehen, die Zehen in der Erde, die Stimmen in der Luft. Das Tagesthema war dreiteilig: Verlangsamung, Nachdenken über Materialitäten, die Vorstellungskraft anwenden.

Radio geht uns voraus und überdauert uns. Und eignet sich für das Imaginäre, weil es sich auch noch über unsere wildesten Vorstellungen hinaus ausdehnt. Eingedenk solcher Zeiträume sind wir gezwungen, über das hinaus zu denken, was wir wissen, gewusst haben und vielleicht wissen könnten. Es ist eine wunderbare Gelegenheit für das, was Donna Haraway „spekulatives Fabulieren“ nennt (das mit dem radiosendenden DNA-Wurm habe ich erfunden).

Am verlockendsten an diesem sogenannten Anthropozän finde ich die seltsame und zugleich ironische Wirkung, die es auf uns Menschen ausübt, indem es uns über uns hinaus denken lässt, über unsere Zeit und unseren Raum hinaus hin zu der Materie innerhalb und außerhalb unseres Planeten und seiner Umgebung.  Es drängt uns weiter zu denken, wenn irgend möglich über unsere Körperlichkeit hinweg hin zu einer Materialität des Immateriellen. Im Radiogarten: eine Materialität der Frequenzen.

Indem wir uns dem Garten zuwenden, werden wir der unsichtbaren Übermittlung von Information gewahr, die zwischen Pflanzen, zwischen Insekten, zwischen Menschen, zwischen lebenden Zellen, Molekülen, Bakterien passiert, in allen diesen und in jeglicher Kombination untereinander und unaufhörlich. Zuweilen müssen wir uns verlangsamen, um Details zu bemerken, um uns zu konzentrieren, zu fokussieren, zu grübeln. Um uns zu entschleunigen. Um der Geschwindigkeit und dem Zwang entgegenzuarbeiten, mit denen menschliches Bestreben auf die Erde einwirkt.

Einige sagen, die Erfahrung des Sterbens sei zwiefältig: Die Zeit verlangsamt sich während die Bilder im Geiste vorbeirasen. An dieser Stelle möchte ich einen Bilderbogen des letzten Tages von Datscha Radio17 einfügen, der langsam zu lesen ist:

  • ein Text über die Interaktion elementarer Strömungen, die in einer Brise enthaltenden Codes des Universum, gelesen zu Aufnahmen aus einem Windkanal
  • Gespräche darüber, wie man weiterlebt, wie die Saat der persönlichen Essenz nach dem Tode sich verstreut, und wie sie plötzlich an unerwarteten Orten erneut zu wachsen beginnt;
  • ein Lauschen auf Details unserer unmittelbaren Umgebung in Anbetracht unser ganz persönlichen Empfindungen
  • ein Eintauchen unserer Köpfe unter Wasser, um zu hören, was die Sirenen zu sagen haben
  • Singen, spontan, zusammen
  • Gespräche mit Pflanzen über ihr Wurzelkommunikationssystem und das Wissen ihrer Vorfahren
  • Eine achtsame, achtsame Gartenschau um Musik aus Luft und Wasser zu machen
  • Das Staunen über die unendliche Menge an Erdinsekten und der seismischen Vibrationen
  • Ein an die Grenzen bringen unserer Sinne um den Duft der Lüfte zu riechen

Aber lassen wir uns dies nicht als ein Ende betrachten, sondern als ein Schritt in Richtung winterliche Erneuerung. Dieses Jahr sah eine reiche und gute Ernte im Datscha-Garten, und dieser Katalog ist nur eine seiner vielen Früchte. Andere – äthergeborene – haben sich bereits als elektromagnetische Wellen in alle Elemente zerstreut oder bilden mit anderen Überbleibseln Kompost und neue Nährstoffe heran, um sie untereinander zu teilen und den Boden anzureichern. Bei den richtigen Temperaturen werden sie erneut zum Vorschein kommen.

***Am Ende wird es immer noch Radio geben.***

Translation: Gabi Schaffner

 

This post is also available in: Englisch

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