Tag 3: Biotop in Futur II
Text: Verena Kuni | Niki Matita
plants&empire/ArchieArchive (M. Langeer-Philippsen)
Wenn unter dem Pflaster der Strand wuchert, was wuchert dann unter dem Rasen und den Beeten? Vielleicht sind es die Urwälder einer Zukunft, die nicht mehr unsere sein wird. Denn die haben wir möglicherweise bereits verspielt. Sicher: in unseren Gärten träumen wir nach wie vor vom Paradies. Einen Ort, der keinen Sündenfall kennt: Blühende Landschaften, die uns über den rücksichtslosen Raubbau an allen nur denkbaren Ressourcen hinwegtäuschen; grüne Kleinode, die uns vorgaukeln, dass wir die verlorene Vielfalt jederzeit wieder hervorzaubern können; Gemeinschaftsgärten, in denen wir jene Sorge um das Soziale vortäuschen, von der wir im Alltag sonst nichts wissen wollen. Hier malen wir uns die schönsten Bilder, stellen sie aus und uns hinein. Der Baum der Erkenntnis ist allerdings längst gefällt – als Ausgleichsmaßnahme haben wir ein Arboretum gepflanzt, in dem wir jederzeit nachlesen können. Früher musste man weite Reisen in Kauf nehmen, wollte man es besuchen, um sein Wissen zu mehren. Heute fliegen wir wohin auch immer, um unter dem Vorschein des Kosmopolitismus und auf Kosten des Klimas unseren Urlaub zu genießen – während wir uns dank unserer Informations- und Kommunikationstechnologien sicher wähnen, dass uns alles notwendige Weltwissen und damit die Welt mit einem Wisch jederzeit und überall offensteht. Allerdings eben nur virtuell. Was es für manche umso romantischer erscheinen lässt, mit den eigenen Händen tatsächlich in echtem Dreck wühlen zu dürfen – vorausgesetzt, es handelt sich dabei um die heimische Scholle und nicht um Mülldeponien mit Computerschrott.
Aber was, wenn letztere inzwischen die eigentlichen Gärten unserer Natur wären: die stinkenden, toten Beete der Technologie, die wir täglich so eifrig bestellen? Immerhin zählen Gärten seit je zu jenen Orten, in deren Gestaltung sich nicht nur abbildet, wie der Mensch “Natur” als etwas erträumt, das er beherrschen kann. Seit jeher sind Gärten auch Techno-Natur-Kulturen im eigentlichen Wortsinn, was sich in den unterschiedlichsten Aspekten ihrer Konzeption, Anlage und ihrer Nutzung widerspiegelt. Über Jahrhunderte hinweg haben Menschen ein denkbar breites Spektrum an Werkzeugen und Techniken entwickelt, die darauf ausgerichtet sind, direkt an und mit lebenden Organismen zu operieren. So auch für das Gärtnern: Ob es nun um die Aufbereitung des Bodens geht oder um die Kontrolle des Wachstums, der Ausbreitung und des (Über-)Lebens von Arten – die Vernichtung vorhandener und die Züchtung neuer Lebewesen eingeschlossen.
Und nun, da wir zunehmend mit den Folgen unseres von Egoismus, Gier und einem rational kaum mehr begründbaren Fortschrittsglauben geleiteten Umwelthandelns konfrontiert werden, sollen es die Gärten richten: Als Biotope und Refugien der verschwindenden Vielfalt, als Erfahrungsräume und Lernorte, die sensibilisieren und Wissen vermitteln von etwas, das längst verloren ist. Dem haben wir in unserem Radio-Garten nachgelauscht, die Antennen in den Beeten auf Empfang.
[Auszug aus: ECHO (DER GARTEN, DANACH)] Verena Kuni
Zwischen Kunst und Naturwissenschaft sind die Arbeiten von Kat Austen angelegt, die von ihrer künstlerisch-akustischen Forschung in einer Weltgegend berichtete, die wohl die wenigsten mit Natur und Gärten in Verbindung bringen: sie brachte in der Arktis Wasserproben zum Klingen – und zur allgemeinen Freude wurden auch Flüssigkeiten im Datscha-Garten auf ihre Klangqualität untersucht. “Archie Archive” ist das Alter Ego des Radiokünstlers Marold Langer-Philippsen, der sich, unter der Kiefer des Gartens experimentierend sein ganz eigenes Biotop im Datscha-Garten schuf: eine Sprechtrance und mäanderndes Selbstgespräch, dessen Ausgang für Publikum und Künstler gleichermaßen überraschend war. Einen anderen Zugang zum Biotop des Gartens präsentierte die Radiomacherin Christina Ertl-Shirley mit ihrem Projekt “plants and empire”, welches die von Pflanzen generierten Klänge mittels Elektronik für das menschliche Ohr übersetzte.
Niki Matita
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