Tag 1: Hortus Politicus
Text: Shanti Suki Osman
Es war eine gewichtige Entscheidung, Datscha Radio17 mit den Hidden Stories Singers zu eröffnen, die eine aktualisierte Version eines Suffragetten-Liedes und „We Say No“ von Gerri Gribi (1991) a cappella vortrugen. Indem sie gängige heteronormative Bildlichkeiten durch trans-inklusive und intersektionelle Szenarien ersetzten, kultivierten sie bewusst Biodiversität und schufen ihr einen Raum – im Garten, in unseren Geschichten und als grundlegende Struktur unserer kommenden Radiosendungen.
Der Datscha-Garten als Hort für historische wie auch lokale Politika wurde an diesem Tag beispielhaft durch das breite Spektrum von Gästen und Mitwirkenden repräsentiert und begann mit der zweistündigen „Diskussion am Mittag“ zur Zukunft der örtlichen Gärten der „Einigkeit e. V.“ Doch es gibt Aspekte des „politischen Gärtnerns“, die zumeist dem gewöhnlich weißen, westlichen und männlichem Blick entgehen.
Die Sendung „Hidden Garden Stories“ stellte „Die Gärtnerei“ vor, einen Stadtgarten und Treffpunkt in Berlin-Neukölln, wo Neuankömmlinge und Leute aus der Nachbarschaft zusammenkommen, um buchstäblich etwas Neues zu schaffen. Umgeben von Polizeisirenen und Flugzeuggeräuschen erläuterten die Gründer*innen ihren Plan, das Gelände, das in unmittelbarer Nähe eines Friedhofs liegt, wieder in ein Land der Lebenden zu verwandeln.
Aber wie bringen wir diese unterschiedlichen Arten von Wissen zusammen und wie das Ganze zum Funktionieren? In „Der Garten der Komponisten“ hörten wir, wie Nathalie Anguezomo Mba Bikoro für ihr Projekt „Hydra Plantation Radio“ Schwingungen von spezifischen Pflanzen in Klänge umwandelt. Diese Pflanzen, die einst von den Kolonisatoren nach Deutschland gebracht wurden, wo sie als Kulisse für die rassistischen „Menschenzoos“ dienten, haben überlebt. Sie pflanzten sich durch Fremdbestäubung fort und passten sich ihrer Umgebung an. Wie die importierten Menschen, die eben noch als Exponate dienten, wurden die Pflanzen verteufelt und als Bedrohung angesehen. Aus Sicht der afrikanischen Frauen, so Nathalie, wandelten sich die Pflanzen zu Zeugnissen des Menschenraubes. Als „lebendiges Archiv“ ermöglichen sie uns einen anderen Zugang als Museen; sie machen etwas Unsichtbares sichtbar.
Auch Jessica Lauren Elizabeth Taylor stellte ihr Projekt „Mutter Erde“ in den „Hidden Garden Stories“ vor. Darin spürt sie den matriarchalen Ahnenlinien, Vorfahren und Erinnerungen nach. Da sie über die Mutter ihrer Mutter kaum etwas wusste, lud sie andere schwarze Femmes ein, ihre Familiengeschichten zu erforschen, zu archivieren und neu zu erzählen, an dem einzigen Ort, von dem sie wusste, dass er von Bedeutung für ihre Matriarchinnen war, die alle einen grünen Daumen hatten: im Garten. Hier – wie auch bei Nathalies Pflanzen und der Community der Gärtnerei – liegt ein unbekanntes, undokumentiertes Trauma zu Grunde. Trotz des Summens der Bienen und des Kratzens der Schaufel herrscht eine Stille – und diese verschiedenen Gärten wollen einen Raum dafür schaffen, dass ihre Geschichten endlich gehört werden.
Datscha Radio17’s erster Tag erforschte noch weitere zeitgenössische Garten(historien) wie Dirk Hülstrunks onomatopoetischen Schwarz-Weiß-Garten oder die Geheimnisse des Landschafts- und des Barockgartens, von denen Katrin Schröder sprach. Und wieder stieg Erzähltes, das wohl eingebettet in der Vergangenheit schlummerte, auf in die obersten Schichten der Erde..
Der Garten ist der geeignete Ort, um Zukunft aus Vorstellungen der Vergangenheit wachsen zu lassen. Berlin ringt mit seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der Rechtsruck bezeugt die offensichtliche Amnesie gewisser Wähler*innen dieses Landes – während seine an den Rand gedrängten Communities auf ihr jeweiliges kulturelles Erbe und ihre Vergangenheit(en) zurückgreifen, um daraus Kraft und Perspektiven für die Zukunft zu schöpfen. Wo sonst als im Garten können reale Erfahrungen hörbar gemacht und zugleich vor möglichem Schaden bewahrt werden?
Übersetzung: Gabi Schaffner, Helen Thein
This post is also available in: Englisch